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30 Jahre Deutsche Einheit

Meine Rede zum 30. Tag der Deutschen Einheit können Sie hier in voller Länge nachlesen:

 

Heute, am 3. Oktober 2020 feiern wir 30 Jahre Deutsche Einheit. Die Bürgerinnen und Bürger der ehemaligen DDR haben mit ihrer Friedlichen Revolution Freiheit und Demokratie erreicht und den Fall der innerdeutschen Grenze erzwungen. Heute möchte ich mit Ihnen als CDU-Familie einmal zurückblicken um diesen besonderen Tag zu würdigen:

Am 9. November 1989 beginnt die „Aktuelle Kamera“ mit einer Nachricht aus dem SED-Zentralkomitee.

Mitte Dezember, so haben es die Genossen gerade beschlossen, wird die 4. Parteikonferenz stattfinden. 

Nach 22 Sekunden ist die Meldung verlesen. Nächste Nachricht: 
Die Pressekonferenz mit Günter Schabowski.

Die 4. Parteikonferenz wird genauso wenig stattfinden wie der 12. Parteitag. Stattdessen beschließt die SED im Dezember ihre Umbenennung. 

Da ist die aktuelle Lage im Lande längst eine völlig andere. Dafür hat der 9. November selbst gesorgt. Dieser Tag gilt als Meilenstein auf dem Weg zum 3. Oktober 1990.

30 Jahre sind diese Ereignisse mittlerweile her. Aber die Bilder haben sich uns eingeprägt: Menschen, die vor Glück weinen, sich umarmen und oft nur ein Wort für das herausbringen, was vor ihren Augen gerade geschieht: „Wahnsinn!“

Die Bilder sind alt geworden; körnig und unscharf erscheinen sie uns.

Und dennoch bewahren sie ihre Kraft. 
Wie große Gemälde sind sie zeitlos und berühren uns, als würden wir sie zum ersten Mal betrachten.

Der Grund dafür ist: Sie zeigen zwar nur, was an einem besonderen Abend geschehen ist. Wir aber sehen die ganze Geschichte!

Es ist die Geschichte einer Staatsmacht, die ihr Volk jahrzehntelang unterdrückt hat und nun vor ihm einknickt. 

Es ist die Geschichte eines Landes, das 40 Jahre lang von sich behauptet hat, demokratisch zu sein, und es nun endlich werden kann.

Es ist die Geschichte mutiger Menschen. Es ist eine gute Geschichte.

Doch der Tag, an dem die Berliner Mauer fällt, kommt nicht über Nacht.

Schon Mitte der achtziger Jahre machen sich die Bürgerrechtler auf den Weg. Ihr Ziel: Meinungs- und Pressefreiheit, Demokratie, Reformen.

Und es kommt der berühmte 7. Mai 1989. Das Volk geht mal wieder falten. So nennen DDR-Bürger ihre Stimmabgabe. Wahlzettel nehmen, zusammenlegen, einwerfen. Alles wie immer. Das Ergebnis steht sowieso fest, und wer in die Wahlkabine geht, macht sich nur verdächtig.

Doch an diesem 7. Mai sind die Bürgerrechtler bei der Auszählung dabei und können beweisen: Das Regime betrügt. Ein Wahlsieg reicht den Machtgreisen nicht, sie verlangen den Triumph.

Die gefälschten Kommunalwahlen haben zwei Ergebnisse: Honecker & Co erhalten eine Zustimmung von fast 99 Prozent.

Das Volk wiederum erhält die Gewissheit, dass mit diesen Betonköpfen Reformen unmöglich sind. Sie wollen nicht verstehen.

Die Zeit der Illusionen ist da längst vorbei. Jeder, der es sehen will, sieht auch, wie es um das Land steht. Die Mangelwirtschaft ist überall.

Der wirtschaftliche Rückstand auf die Bundesrepublik wächst und wächst. Die Arbeitsproduktivität erreicht nur noch ein Drittel des westdeutschen Niveaus. Die internationale Verschuldung ist so hoch, dass die DDR bald zahlungsunfähig sein wird.

Geld für Investitionen fehlt, weil der Sozialismus nicht ansatzweise erwirtschaften kann, was seine Beglückungsideologie verschlingt.

Die SED hat sich auf diese Weise immer Lethargie und Klappehalten erkauft. Selbst das geht jetzt schief. Die Dosis wirkt nicht mehr.

Der Wahlbetrug ist Dünger für die Gefühlslandschaft überall in der DDR. Alles wächst: die Wut, die Enttäuschung, die Verzweiflung, 

die Sehnsucht nach Veränderung, auch die Resignation und die Ohnmacht. 

Viele Ostdeutsche geben endgültig auf und verlassen im Sommer 89 ihre Heimat über Prag und Budapest. Doch nicht einmal diese Massenflucht weckt die Herrscher vom Zentralkomitee.

Dafür infiziert sie die Dagebliebenen mit Mut.

Worauf warten wir? So geht's nicht weiter. Wer, wenn nicht wir? 
Wir sind das Volk!

Mehr und mehr Menschen versammeln sich auf den Straßen. Sie machen sich auf, obwohl es gefährlich ist.

Jedes Mal braucht es neuen Mut. Jedes Mal muss wieder die Angst überwunden werden, die eigene Angst genauso wie die Angst um andere. 

Bei diesen Bildern, meine Damen und Herren, muss ich auch immer an die aktuellen Proteste in Belarus denken.

In der Tagesschau zeigten Sie zuletzt ein sehr beeindruckendes Portrait einer Frau, die ein Idol der Opposition in Belarus geworden ist. Nina Baginskaja protestierte schon zu Sowjetzeiten gegen die Kommunisten - heute geht sie gegen Staatschef Lukaschenko auf die Straße. 73 Jahre ist sie alt, wurde schon mehrfach verhaftet. Doch Sie glaubt – wie damals die Menschen in der DDR - an die Demokratie und die Freiheit.

Wir sind das Volk! – Das ist die Parallele. Was uns in Deutschland getrieben durch den Mut der ostdeutschen Mitbürgerinnen und Mitbürger gelang, ist nach wie vor Grund in anderen Ländern auf die Straße zu gehen.

Unsere Freiheit und Demokratie sind nicht selbstverständlich. Genauso wenig wie der 3. Oktober ein Tag wie jeder andere ist. Wir müssen uns erinnern – deshalb sind wir als CDU heute hier.

Meine Damen und Herren, irgendwann ging es dann doch schneller als gedacht, und der Tag war gekommen: Nach mehr als 28 Jahren fällt tatsächlich die Berliner Mauer.

Das Schicksal der kommunistischen Diktatur ist besiegelt. Und er schickt ein Volk auf eine Reise mit noch unbekanntem Ziel. Der Mauerfall ist Ende und Anfang zugleich.

Dieser Tag erinnert uns daran, was Menschen mit ihrem Mut vollbringen können. Diesen Menschen wollen wir heute Danke sagen.

Erst später zeigte sich, dass dieser Anfang auch gewaltige Aufgaben brachte. Es galt ein kaputtes Land wiederaufzubauen.

Ein Land, das weit über seine Verhältnisse gelebt hatte und trotzdem unterm wirtschaftlichen Niveau der Bundesrepublik.

Ein Land, in dem sogar die Lebenserwartung in den achtziger Jahren leicht gesunken war.

Ein Land, das zu Europas größten Umweltsündern gehörte.

Die gewonnene Freiheit machte es möglich, dass aus der deutschen Frage nun wieder eine Frage an die Deutschen wurde – an die Deutschen in Ost und West.

Und die Antwort folgte: Eine Mehrheit hier wie dort empfand ein Fortbestehen der Teilung als unnatürlich. Doch selbstverständlich oder gar zwangsläufig war die Wiedervereinigung keineswegs.

Vielmehr musste der Weg zu ihr beschritten und schnell zurückgelegt werden. Ein Zögern – und es wäre vielleicht zu spät gewesen.

Daher war es ein großer Glücksfall, dass in diesem Augenblick Helmut Kohl Bundeskanzler war.

Als Politiker hatte er gute Kontakte zu unseren westlichen Partnern und in die damalige Sowjetunion aufgebaut.

Als Historiker wusste er um den Wankelmut der Weltgeschichte.

Und als Christdemokrat besaß er jenen Glauben, an dem die CDU immer festgehalten hat: den Glauben an die deutsche Wiedervereinigung.

Schon im Dezember 1989 hatte Helmut Kohl den Dresdnerinnen und Dresdnern bei seinem Besuch zugerufen: „Mein Ziel bleibt – wenn die geschichtliche Stunde es zulässt – die Einheit unserer Nation.“

Viele andere hätten damals gezögert. Helmut Kohl tat es nicht. Er stand zu seinem Wort. Auch das war mutig.

So wurde aus der Aufgabe, die Zukunft nach der gewonnenen Freiheit zu gestalten, eine gemeinsame Aufgabe der Deutschen.

Heute leben wir in einem wiedervereinigten Deutschland und schauen stolz auf fast 30 Jahre gemeinsamer Geschichte.

Am Anfang stand die große Überzeugung, dass alles sehr schnell gelingen würde: das wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Zusammenwachsen von Ost und West.

Vor allem die ersten Jahre brachten Enttäuschungen, Rückschläge, auch Bitterkeit. Es war die Zeit, als selbst Abiturienten vielerorts keine Lehrstelle im Osten fanden. Es war die Zeit, als fast jede Familie von Arbeitslosigkeit betroffen war. Es war auch die Zeit mancher Zweifel und Missverständnisse.

Doch inzwischen sind die ostdeutschen Länder starke Regionen mit attraktiven Arbeitsplätzen und erfolgreichen Unternehmen.

Gerade in den vergangenen Jahren haben sie noch einmal einen deutlichen Schub bei der Angleichung an den Westen erlebt.

Löhne und Renten sind deutlich gestiegen. Die Arbeitslosigkeit ist so niedrig, dass es in vielen Regionen einen Mangel an Fachkräften gibt.

Und: Seit 2017 ziehen mehr Menschen aus dem Westen in den Osten als aus dem Osten in den Westen.

Es gibt inzwischen sogar Städte und Regionen, die über Wachstumsschmerzen klagen.

All dies haben wir gemeinsam erreicht. Ja, es bleibt noch genug zu tun.

An den gleichwertigen Lebensverhältnissen müssen wir weiter arbeiten. Sie sind heute jedoch keine Frage der Himmelsrichtung mehr.

In Führungspositionen schaffen es Ostdeutsche kaum, ganz gleich, wohin man schaut. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung beträgt 17 Prozent.

Ihr Anteil an Spitzenpositionen in Wirtschaft, Politik und Verwaltung liegt bei weniger als 3 Prozent.

Ein ostdeutscher Bundeswehrgeneral ist noch seltener als ein ostdeutscher Bundesrichter [3 von 457]. Keine öffentliche Universität hat einen Präsidenten aus dem Osten – auch nicht in Jena oder Magdeburg, Greifswald, Cottbus oder Chemnitz.

Dass sich viele Ostdeutsche selbst für Bürger zweiter Klasse halten, hat sicher hier auch seinen Grund.

All dies wird sich ändern, ja verwachsen. Es werden Generationen kommen, die nicht mehr in Ost und West denken. Die auch diese Grenze überwinden.

Der 9. November hat uns gezeigt, was Mut bewirken kann. Mut brauchen wir auch heute, 30 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer.

Denn unser Land steht vor großen Herausforderungen. Dafür sorgt die Welt, in der wir leben. Sie hat sich radikal verändert und rüttelt an Vertrautem. Bleibt unser Land, wie es heute ist, wird es in 20 Jahren nicht mehr zu den führenden Volkswirtschaften zählen.

Ja, wir wollen als CDU unser Land gestalten, wir wollen Zukunft gestalten. Und dabei wissen wir: Das wird uns nur aus der Mitte heraus gelingen. Zukunft macht man nicht mit links, und Zukunft macht man nicht mit rechts.

Angesichts vieler Polarisierungen in unserem Land brauchen wir eine Kraft, die aus der Mitte heraus zusammenführt.

Und diese Kraft – das ist die CDU. 

Weil es um die Zukunft geht,

weil es um unsere Grundsätze geht,

weil es um unsere Werte geht, sagen wir ohne Wenn und Aber:

Keine Zusammenarbeit mit der Linkspartei;

keine Zusammenarbeit mit der AfD.

Um es sehr deutlich zu sagen:

Dabei geht es nicht um Taktik, es geht auch nicht um Parteitagsbeschlüsse; erst recht geht es nicht darum, ob wir von anderen Parteien, von Medienvertretern oder sonst wem getrieben werden. Es geht um etwas viel Größeres: Es geht um die Identität unserer CDU.

Aus der Mitte heraus unser Land zukunftsfest machen – das ist und bleibt unser Anspruch.

Die Bürgerinnen und Bürger schauen zuerst auf die CDU, wenn außergewöhnliche Herausforderungen anstehen.

Das hat die Corona-Pandemie gezeigt.

Sie erwarten von uns, dass wir eine problemlösende und zukunftsorientierte Kraft sind.

So war es vor 30 Jahren nach dem Mauerfall. So ist es heute.

Dies war und ist auch der Anspruch, den wir an uns selbst haben. Wir wollen die Zukunft Deutschlands gestalten. Vielen Dank.